Die Rückkehr des Lichtes
Ein bitterkalter Wind treibt eisigen Nieselregen waagerecht über die winterlichen Rheinhöhen. „Von wegen Polarfleece“, denke ich missmutig, denn ich fröstele während ich hinter der Pudelin durch den Matsch stapfe. Das schmatzende Geräusch meiner Gummistiefel trägt auch nicht grade dazu bei, meine Laune zu heben. Es ist einfach „usselig“, wie man bei uns im Rheinland sagt. Ein Tag um gemütlich bei einer Tasse Tee und einem schönen Buch an der Heizung zu kleben.
Dabei ist heute Imbolc oder auch Imbolg, ein Fest zur Rückkehr des Lichtes nach der dunklen Zeit des Winters. Die länger werdenden Tage machen Hoffnung auf einen baldigen Frühling – was aber keinesfalls bedeutet, dass die Frostnächte schon vorüber sind.
Imbolc wird gefeiert am zweiten Vollmond nach der Wintersonnenwende, fällt also in diesem Jahr auf den 05. Februar. Im Altirischen ist im-folc der Name einer rituellen Waschung. Ganz nüchtern und wissenschaftlich betrachtet, ist das Imbolc-Fest wohl eher eine neuzeitliche Tradition, denn es gibt keinerlei Belege darüber, dass es tatsächlich schon von den Kelten gefeiert wurde. Vermutlich ist es in ländlichen Gegenden im Volksglauben entstanden, denn viele der überlieferten Gebräuche haben Bezug zur Landwirtschaft und zum Leben der Menschen mit den Jahreszeiten und in Abhängigkeit von den Launen der Natur.
Brigid – Göttin zwischen Frost und Feuer
Patronin dieses Lichtfestes ist die irisch-keltische Göttin Brigid, der helle, strahlende, jugendliche Aspekt einer dreifaltigen Gottheit, deren Anteile sich die Regentschaft über den Zyklus von Werden, Sein und Vergehen untereinander aufteilen. Die weiße Göttin Brigid ist die Regentin des Frühlings. Ihr Göttinnenaspekt gilt als Hüterin des Feuers. Sie ist bewandert in der handwerklichen Schmiedekunst ebenso, wie in der Kunst des Schmiedens von Wortgebilden – denn sie wird als affin zu Poesie, Schriftstellerei und Künstlertum beschrieben. Darüber hinaus ist sie die Beschützerin der Schwangeren, des neugeborenen Lebens und der Hebammen, was sie gleichzeitig zur Heilerin für die Weiblichkeit macht.
Wenn die Weise Alte Cailleach, Herrscherin über den Winter, die Dunkelheit und den Tod, ihre Zeit gekommen fühlt, dann legt sie ihr Zepter unter einem Holunderbusch ab und verwandelt sich in einen Stein. Die jugendliche Brigid steigt an Imbolc hinauf aus der Unterwelt (wo sie während der dunklen Zeit dem Sonnengott das Leben geschenkt hat) und nimmt das Zepter an sich. Dann reitet sie auf dem Sonnenhirsch – dem jugendlichen Aspekt des Sonnengottes – durch die Lande und erweckt die Samen, die in der Erde schlummern. Sie schüttelt die Bäume und befreit die Gewässer vom Eis, so dass alle Säfte und alle Wasser wieder fließen.
Ich komme nicht umhin zu bemerken, dass bei all dem Matsch auf meinem Wanderweg auch schon die Gefolge der weißen Göttin um mich herum zu sprießen beginnen: Schneeglöckchen, Winterlinge und Krokusse erblühen dort, wo Brigid auf ihrem Hirsch vorbeireitet. Ich suche nach ihren Spuren im aufgeweichten Boden und frage mich, welche Bedeutung die Übergänge des Jahres für uns im einundzwanzigsten Jahrhundert noch haben könnten. Der Klimawandel wird unsere Jahreszeiten und die Rhythmen der Pflanzen, Tiere und Menschen bald unwiderruflich verändert haben. Der Jahreskreis ist jedoch auch als eine spirituelle Reise zu verstehen, voller Mythen und Metaphern für das Leben.
Metaphern für das Leben
Im gestrigen Frauenkreis haben wir herausgefunden, dass die Rückkehr des Lichtes für jede von uns eine sehr persönliche Bedeutung hat. Für die eine bedeutet es, sich endlich mit all ihren Qualitäten im Außen zeigen zu dürfen. Für die nächste kehrt das Licht in Form eines neuen Heims zurück, wo Frieden und Erleichterung wohnen. Eine dritte Frau heißt das Licht einer neuen Liebe in ihrem Leben willkommen. Eine vierte hofft noch auf das Licht für ihre besondere Tochter, die versucht ihren Platz in dieser Welt zu finden.
Aus mentalen Bildern werden, kraft ritualisierter Handlungen manifeste Vorgänge – diese Erkenntnis hat mittlerweile auch in die moderne Psychotherapie Einzug gehalten. An Imbolc stehen die Themen Reinigung, Erneuerung und Ausrichtung bzw. Fokussierung im Vordergrund. Wie kann ich, wie kann jede von uns diese Kraft des Neubeginns für sich nutzen? Wie können wir Frauen in Brigids Feuer Reinigung finden und gleichzeitig mit ihrem Schmiedehammer das neue Jahr eigenverantwortlich und kraftvoll gestalten?
Reinigung von den Härten des Winters
Was kann „Reinigung“ in diesem Zusammenhang bedeuten? Die französische Historikerin Francoise Le Roux schreibt in ihrem Buch „Die Hohen Feste der Kelten“, dass man sich nur sicher sei, dass es sich bei dem Begriff „Imbolc“ um den Namen einer rituellen Waschung handele, der sowohl in der irischen, walisischen und auch bretonischen Sprache überliefert wurde.
Haus und Ställe wurden zum Imbolc-Fest sehr gründlich gereinigt, oftmals wurden sogar die Wände neu gestrichen. Alles sollte reinlich und ordentlich sein, damit die Göttin auch gerne der Einladung folgte, darin zu wohnen und ihren Schutz zu gewähren. Das Binden von Birkenbesen um damit das Haus auszukehren ist im Volksglauben bis heute überliefert.
In der heutigen Zeit wäre da ein gründlicher Hausputz angezeigt, ein konsequentes Ausmisten und Weggeben von all den Dingen, die nicht mehr zu uns gehören.
Imbolc ist also eigentlich kein Fest des neuen Jahres oder des Jahresbeginns, sondern eine rituelle Reinigung von den Härten des Winters.
Auch unser Leben ist oftmals gekennzeichnet von Situationen oder Phasen, die wir als hart, schwierig und mühsam empfinden. Wir mögen innerlich erstarrt sein, ob dieser Härte, wie ein Gewässer im Winter. Wir mögen die Abwesenheit von Licht, Wärme und dem Feuer der Motivation beklagen, weil wir grade keine Lösung haben und bis zum Hals in die Umstände verstrickt sind.
Nun ist es vielleicht ein bisschen naiv zu denken, mit einer rituellen Waschung sei ein manifestes Problem gelöst oder gar aus der Welt geschafft. Aber das ist auch gar nicht der Sinn und Zweck solcher Handlungen.
Rituale schaffen das Fundament für Entwicklung
Es geht vielmehr um die innere Ausrichtung, den persönlichen Blickwinkel und die eigene Haltung zu dem belastenden Thema. Auch geht es darum, sich seiner selbst und der Situation bewusst zu werden, eventuell vorhandene Schleier zu lüften und einen klaren, unverstellten Blick auf die Realität zu riskieren. Erkenntnis zuzulassen erfordert Mut. Wie viel leichter ist doch, mit Verdrängungsstrategien durchs Leben zu gehen. Ritualisierte Handlungen geben Sicherheit, sie bereiten den Rahmen den es braucht, sich mutig den eigenen Abgründen zuzuwenden und sich aus den selbst ausgelegten Fallstricken zu befreien.
Und so ist es durchaus zielführend, die ganze Aufmerksamkeit auf ein rituelles Salzbad, das Anzünden einer speziell für diesen Anlass gestalteten und mit einer Bestimmung versehenen Kerze samt Räucherwerk und das schlückchenweise Trinken einer Tasse mit Birkenblättertee zu richten, während wir einen rituellen Gesang anstimmen.
Um eine nachhaltige Veränderung einer inneren Überzeugung, innerer Bilder und angenommener Verhaltensmuster zu erreichen, ist es unabdingbar alle Sinne in die therapeutische Intervention mit ein zu beziehen. Auch das ist mittlerweile wissenschaftlich anerkannt. Unsere Wahrnehmung ist vielschichtig. Unsere Erfahrungen sind verknüpft mit Geräuschen, Gerüchen, Geschmäckern und sensorischem Erleben. Auf diese Weise funktioniert Aroma-Therapie, Farb-Therapie, Klang-Therapie und auch Körper-Therapie. In einer Sitzung in meiner Praxis, würde ich die Aufmerksamkeit des Klienten auf seine sinnlichen Wahrnehmungen lenken, während wir über seine traumatischen Erinnerungen sprechen.
Eine achtsam gestaltete rituelle Handlung hingegen, ist schon von sich aus sinnlich! Sie lässt uns das Thema auf allen Ebenen erfahren: das warme Salzwasser auf der Haut und der Zunge, die Flamme der Kerze für das Auge, das knisternde Räucherwerk für Ohr und Nase, der Geschmack des Birkenblättertees und der Klang des Gesangs, dessen Worte Gedanken, innere Bilder, Emotionen und Stimmung berühren und Assoziationsketten in Gang setzen.
Im Frauenkreis haben wir geräuchert, getrommelt, gesungen, Kerzen gestaltet und angezündet und unser Auge an der üppig gestalteten Mesa in der Kreismitte erfreut. Wir haben die Geschichten der anderen Frauen gehört, die uns auf unterschiedliche Art und Weise berührt haben.
Wir haben uns gefragt, was hat denn der Rückkehr des Lichtes in unser Leben im Wege gestanden? Oder was hindert das Licht noch daran, in unser Leben Einzug zu halten? Dann wurden fünf Themen auf kleine Zettel geschrieben, die wir dann in Brigids Feuerkessel verbrannt haben – ein Versprechen an uns selbst, unsere Haltung und die inneren Widerstände zu verändern.
Der Same für das kommende Jahr
Inspiriert durch das gestrige Frauenfest kommen diese Worte zu mir, während ich versuche meine Hündin davon abzuhalten, eine ganze Mäusepopulation heimatlos zu machen. Wir passieren ein Birkenwäldchen. Brigid teilt sich ihren Namen mit der Birke - aufgrund ihrer weißen Farbe, steht diese für den jugendlichen Aspekt der dreifaltigen Göttin, für Wiedergeburt, Erneuerung, Reinheit und Unschuld.
Sie ist Teil von Fruchtbarkeits- und Reinigungsriten, bis heute wird eine Birke als Maibaum der Angebeteten vor das Fenster gestellt. In der Nacht der Wintersonnenwende, kehrt man das Alte mit dem Birkenbesen aus dem Haus.
Die Birke ist aber auch ein Pioniergewächs, das heißt, dass sie eine der ersten Pflanzen ist, die neu entstandene Brachen besiedelt. Die traut sich was!!
An welcher Stelle haben wir eigentlich aufgehört, für uns selbst die Verantwortung zu übernehmen? Wann haben wir begonnen klaglos zu akzeptieren, dass Träume ja bekanntlich Schäume sind und der „Vernunft“ den Vorrang gegeben? Wo in Brigids Namen, ist der jugendliche Größenwahn geblieben, der uns einmal mit der Überzeugung gesegnet hat, dass wir alles schaffen, alles erreichen können und dass uns im Grunde genommen nichts Schlimmes passieren kann? Und wer hat eigentlich gesagt, dass es relevant ist, was andere über uns denken?
Eine Tinktur aus Birkenblättern unterstützt die Flexibilität von Körper, Seele und Geist, regt Fröhlichkeit, Ausgelassenheit und Bewegungsfreude an und bringt erstarrte und gestaute Lebenskräfte wieder zum Fließen.
Und wo wir schonmal dabei sind: wir befinden uns nun auf der Schwelle zwischen Frost und Feuer. Es ist Zeit das neue Frauenjahr zu schmieden, einen Fokus zu setzen – zu verkünden, was in die Tat umgesetzt werden soll und dies mit rituellen Handlungen zu bekräftigen!
Ein Wunsch als Mutter der Gedanken
Eine Möglichkeit der inneren Ausrichtung ist das regelmäßige Rezitieren von Wunschgebeten – eine Technik, die im Buddhismus praktiziert wird. Damit soll nicht etwa eine höhere Macht um die Erfüllung unserer Bedürfnisse gebeten werden. Das kontinuierliche Wiederholen der Wünsche erweitert unseren Fokus, so dass sich unsere Wahrnehmung mehr und mehr verändert. Dinge, die nicht da waren und auch unerreichbar schienen, rücken plötzlich in den Bereich des Möglichen. Wir erschaffen und gestalten unser Leben!! Wir sind die Hüterinnen unseres eigenen Feuers.
Im Frauenkreis haben wir die Wünsche so formuliert, dass sie den Fokus unterstützen, den wir uns für das kommende Jahr gesetzt haben. Dieser Fokus orientierte sich bei allen an dem Thema, welches wir als die Rückkehr des Lichtes in unser Leben identifiziert hatten.
Eine sehr schöne Art und Weise um einen Fokus zu setzen, ist das rituelle Versenken eines Samenkorns in der Erde. Wenn man dies in der Gruppe tut und den Entschluss dabei auch noch laut ausspricht, bekräftigen die Anwesenden die Bekundungen, das macht unser Tun noch um einiges kraftvoller. Zeugen, die unseren Fokus bekräftigen, erfüllen unsere tiefe Sehnsucht nach Bestätigung und Anerkennung, angenommen zu sein und die Erlaubnis zu erhalten.
Und so wurde der Fokus beim gestrigen Frauenfest unter anderem auf die Freiheit, die Liebe, den Weg nach Innen und die unerschütterliche Verbindung zum Selbst gesetzt.
Um den Fokus zu halten, umsorgt und pflegt man die Saat bis diese aufgeht und sich ein zarter Spross seinen Weg ans Licht sucht. Die Pflanze weiter zu hegen, bis sie sich voll entwickelt hat und schließlich zu blühen beginnt, hält metaphorisch die Qualität des Nährens, bis der Entschluss in die Tat umgesetzt wurde.
Die unterstützenden Wünsche wurden dann in der Form von Wunschgebeten aufgeschrieben. Sie beginnen mit den Worten:
Möge….bzw. Möge ich…bzw. Mögen alle Wesen….
Eine weitere Möglichkeit ist es, die Wünsche so aufzuschreiben, als sei der Mangel bereits genährt worden.
Wenn ich mir zum Beispiel wünsche, mehr Energie und Tatkraft für das kommende Jahr zu entwickeln, dann kann der Wunsch lauten: Möge ich kraftvoll und voller Tatendrang sein. Oder aber: Ich bin kraftvoll und voller Tatendrang.
Und weil es so schön ist, weil Imbolc ist und weil rituelle Handlungen zu manifesten Vorgängen werden, schreiben wir die Wünsche und Wunschgebete auf kleine Zettel und hängen sie in die Birke unseres Vertrauens um Frau Brigid um ihre Unterstützung zu bitten!!!
Das mache ich jetzt und wünsche mir gleichzeitig, dass mein Pudelmädchen nicht abhaut, während ich hier Zettel in Birken binde.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein kraftvolles Imbolc!
→Workshop FrauenBild - Die Rückkehr des Lichtes 07/23
→ Informationen über den Zyklus FrauenFeste